„Systemsprenger“

Kann Heilpädagogik eine Antwort sein?

Der Begriff des Systemsprengers ist nun spätestens seit dem gleichnamigen Kinofi lm in aller Munde, aber was genau meint er eigentlich? „Systemsprenger“ löst bei den meisten von uns etwas Negatives aus. Negativ bezogen auf einen Menschen, der sich nicht an etwas Vorgegebenes zu halten scheint.

Betrachten wir dies aber mal genauer, so müssen wir zugeben, dass das Negative nur berechtigt wäre, wenn wir davon ausgehen, dass das bestehende System gut sei. Mit System sind der Kindergarten, die Schule, der Freizeitbereich und auch der Hilfebereich eines Menschen gemeint. Denken wir diesen Begriff im Plural, also bezogen auf das gesamte System, das sich um einen Menschen mit Hilfebedarf ergibt, ist es nicht zwangsläufig etwas Negatives. Es geht eher um einen Prozess zwischen einem Menschen und einem Hilfesystem, die nicht zueinander finden. Systemsprenger sagt also mehr über das System aus als über den, der es „sprengt“.

Und dennoch gibt es ja immer häufiger diese Situationen oder Umstände, dass ein Mensch in einer Einrichtung, wie zum Beispiel einem Regelkindergarten oder einer Regelschule, mit den vorherrschenden Gegebenheiten nicht zurechtkommt oder anders formuliert. Die Einrichtung kann dem Kind keinen passenden Rahmen oder Raum bieten.

Der Begriff Systemsprenger scheint also eher ein hilfloser Versuch etwas zu beschreiben, für das wir in unserer allgemeinen Sprache kein passendes oder einzelnes Wort haben. Es geht um ein komplexes meist auch rechtliches Durchgereiche von Kindern oder auch Menschen in allen Altersgruppen mit Unterstützungsbedarf aufgrund verschiedenster Ursachen. Ursachen sind meist eine durch Brüche geprägte Negativ-Spirale innerhalb des Hilfesystems, den Bildungsinstitutionen und des Menschens, der diese als schwierig wahrgenommene Verhaltensweisen aktiv mitgestaltet (Menno Baumann beschreibt dies genauer in seinen Büchern für Intensivpädagogik). Wie diese Situation letztlich genannt wird, gilt noch unserer Fantasie, wichtig ist jedoch Antworten auf verschiedenen Ebenen zu finden.


Der Überschrift dieses Textes zufolge ist die Frage, ob die Heilpädagogik Kindern und Jugendlichen, die in bisherigen Strukturen ihr Umfeld zu „sprengen“ drohen, eine Antwort auf ihre
Bedürfnisse geben kann. Welche Aufgabe verfolgen Heilpädagogen? Die ständige Konferenz für Heilpädagogik formuliert hier Folgendes:

  • Heilpädagogen sind qualifiziert für die Arbeit mit Menschen aller Altersgruppen, die aufgrund unterschiedlicher Beeinträchtigungen häufig auch durch soziale Benachteiligung in ihrer Lebensgestaltung behindert bzw. von Behinderung bedroht sind. Der Behinderungsbegriff bezieht sich dabei vor allem auf Erschwernisse und Belastungen in der Person-Umwelt-Beziehung.
     
  • Hauptanliegen der Heilpädagogik ist nicht die „Beseitigung von Fehlern oder Schädigungen“ bei einer Person. Vielmehr geht es um die Erhaltung und Wiedergewinnung von Handlungsfähigkeit.
     
  • Ziele sind in der Prävention, Rehabilitation und sozialen Eingliederung zu sehen. Sie sind auf den Ablauf von Hilfeleistungen (als „strategische“ Vorgehensweise) und auf konkrete Personen in bestimmten Beeinträchtigungslagen (als heilpädagogische Förderung) bezogen.
  • Heilpädagogen arbeiten in der Regel als „spezialisierte Generalisten“ und sind in verschiedenen spezifisch methodischen Ansätzen ausgebildet. Heilpädagogisch gestaltete Handlungskonzepte beinhalten immer ein personales Beziehungsangebot.
     
  • Heilpädagogische Aufgaben unterliegen einem gesellschaftlichen Wandel. Bei der Planung und Durchführung heilpädagogischer Angebote beteiligen sich Heilpädagogen verantwortlich an einem zeitgemäßen Sozial- und Qualitätsmanagement. Im Rahmen von Case-Managements koordinieren sie die Vernetzung unterschiedlicher Institutionen und Unterstützungssysteme. Des Weiteren erschließen Heilpädagogen die Ressourcen des Sozialraumes mit dem Ziel einzelne Menschen und Gruppen Partizipation, Inklusion und sinnerfüllte Daseinsgestaltung zu ermöglichen.
     
  • Im institutionellen Kontext nehmen Heilpädagogen einerseits Aufgaben im Bereich Leitung, Organisation, Beratung wahr und leiten zum Beispiel Erzieher, Heilerziehungspfl eger und andere Mitarbeiter an, beraten und moderieren Teamgespräche. Andererseits übernehmen sie die spezielle Begleitung, Therapie und Förderung der Menschen mit besonderem Förderbedarf.

Die Rahmenrichtlinien für die Fachschule der Heilpädagogik ergänzen diese Aspekte noch, indem sie die Einzelheiten näher beschreiben. Die Haltung, also die Einstellung von Heilpädagogen, ist in hohem Maße annehmend und dem Menschen wertschätzend gegenüber. Heilpädagogen bringen in ihrem Grundverständnis auch die besten Voraussetzungen für intensivpädagogische Angebote, wie konfliktsicher und belastbar, verstehend und an der Problematik des Einzelfalls im systemischen Sinne orientiert, Kontinuität vermittelnd, reflektiert in der Gestaltung von Nähe und Distanz sowie Bindung und Abgrenzung mit. Bei näherem Betrachten wird deutlich, dass es sogenannte „Systemsprenger“ gibt. Es gibt neben weiteren Ausbildungen die Heilpädagogik, die in hohem Maße befähigt ist, sich zuverlässig auf Menschen einzulassen.

Aber wo ist denn nun das Problem?
Kinder, Jugendliche oder auch Erwachsenen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf haben gesellschaftlich derzeit ein Nachsehen, denn sie werden als „Systemsprenger“ betitelt und ihnen wird eine fehlende Passung zugesprochen. Eltern und ihre Kinder werden so zu Opfern einer Negativ-Systemspirale.

Unsere Aufgabe sehe ich hier darin, laut in die Welt zu rufen, dass hier eine Ungerechtigkeit herrscht! Wann ändert sich das System? Wann werden Hilfeleistungen in Kontinuität gedacht bzw. bewilligt? Inklusion und Teilhabe kann nur ehrlich gedacht und umgesetzt werden, wenn es hierfür auch den passenden Rahmen gibt.

Wir werden ohne Zweifel in den nächsten Jahren noch mehr Fachkräfte, Experten, also Heilpädagogen benötigen, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen begegnen können. Machen wir uns also auf den Weg und setzen uns ein, für die Menschen, die ein Recht darauf haben. Wir innerhalb der PLSW sollten also auf die Fachlichkeit der Heilpädagogik setzen und vertrauen.

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